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Neues Oxidationsmittel der Atmosphäre entdeckt, das Luftschadstoffe abbaut

(19.8.2012) Offenbar gibt es eine bisher unbekannte chemi­sche Verbindung in der Atmosphäre, die eine ähnliche Rolle beim Abbau von Luftschadstoffen spielt wie OH-Radikale, ins­besondere bei der Oxidation des Schwefeldioxids. Das berich­tet ein internationales Forscherteam, zu dem auch Wissen­schaftler des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (IfT) gehören, in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazin NATURE. Der Nachweis der Verbindung sei sowohl durch Laborversuche als auch durch Freilandmessungen gelungen. Diese Verbindung kann in der Atmosphäre hauptsächlich durch biogene Emissio­nen entstehen. Damit wäre ein neuer Zusammenhang zwischen Schwefeldioxid, den natürlichen Emissionen aus der Vegetation und dem Klima entdeckt worden.

Die neue Verbindung erklärt Phänomene, die im Zusammenhang mit dem schädlichen Schwefeldioxid beobachtet wurden, das zum Beispiel aus Auto- oder Schiffsabgasen in die Umwelt ge­langt. Bisher war man davon ausgegangen, dass allein Hydro­xylradikale (OH-Radikale) für den Abbau des Schwefeldioxids und damit für die Erzeugung von Schwefelsäure verantwortlich seien. Problematisch war jedoch an dieser Theorie, dass in der Atmosphäre mehr Schwefelsäure nachgewiesen wurde als über die Reaktion von OH-Radikalen mit Schwefeldioxid erklärt werden konnte. Die von den Forschern gefundene Verbindung scheint nun das fehlende Puzzlestück zu sein. Sie ist ebenfalls in der Lage, aus Schwefeldioxid Schwefelsäure zu erzeugen, und das möglicherweise effektiver als Hydroxylradikale. Dieser Prozess trage somit zur verstärkten Partikelneubildung, also der Umwandlung von Gasen in feste Partikel bei, berichten die Chemiker der Universi­tät Helsinki, des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (IfT) und des National Center for Atmospheric Research in Boulder. Es ist in der Folgezeit zu prüfen, ob ne­ben der Oxidation des Schwefeldioxids auch andere Luftschadstoffe effektiv durch das „neue“ Oxidationsmittel abgebaut werden. Damit könnte dieser Verbindung eine noch weitgehendere Bedeutung zukommen.

Über Oxidationsprozesse beeinflusst die Chemie der Atmosphäre die globalen Umwelt­probleme wie Klimawandel, Ozonloch, Versauerung von Böden oder Gesundheitsproble­me durch mangelnde Luftqualität. Oxidationsmittel sorgen für den Abbau von Luft­schadstoffen. Bekannt waren bisher nur drei Stoffe, die für den Abbau von Luftschad­stoffen sorgen: Ozon (O3), das Hydroxylradikal (OH) und das Nitratradikal (NO3). Während das Nitratradikal nur nachtaktiv und das Hydroxylradikal hauptsächlich tags­über bei Sonneneinstrahlung aktiv ist, reagiert Ozon rund um die Uhr. Die neue Ver­bindung ist demzufolge das vierte Oxidationsmittel, welche umgangssprachlich auch als Waschmittel der Atmosphäre bezeichnet werden, da sie für saubere Luft sorgen und so eine lebenswichtige Funktion erfüllen.

Dr. Torsten Berndt und Dr. Frank Stratmann im Chemielabor des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig
Dr. Torsten Berndt (rechts) und Dr. Frank Stratmann (links) im Chemielabor des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig. Die beiden IfT-Wissenschaftler waren an der Entdeckung des neues Oxidationsmittels in der Atmosphäre beteiligt, das Luftschadstoffe abbaut. 

Der Nachweis der neuen Verbindung gelang erst jetzt durch verbessere Messtechni­ken. Zum Einsatz kam dabei die Chemische Ionisationsmassenspektrometrie (CIMS). „Die Konzentrationen sind sehr gering und liegen lediglich in der Größenordnung von 10.000 bis einige Millionen Molekülen pro Kubikzentimeter Luft. Um sie in unserem La­borexperiment nachweisen zu können, mussten wir unter Reinstbedingungen arbeiten“, berichtet Dr. Torsten Berndt vom Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung in Leip­zig, der wie andere Forscher die Existenz einer weiteren Verbindung schon lange ver­mutet hatte.

Die neue Verbindung wurde gleich an drei Orten unabhängig voneinander nachge­wiesen:

  • im Labor des IfT in Leipzig von Dr. Torsten Berndt,
  • im Labor des National Center for Atmospheric Research in Boulder in den USA von Dr. Lee Mauldin und
  • in den finnischen Wäldern durch ein Team der Universität Helsinki um Dr. Mikko Sipilä.

„Bei unseren Messungen über den Bäumen zeigte sich, dass die Verbindung im Gegen­satz zum Hydroxylradikal kein Maximum um Mittag und kein Minimum in der Nacht hat. Diese Beobachtung deutet auf eine Quelle für Schwefelsäure hin, die nicht das Hydro­xylradikal sein kann“, erläutert Dr. Mikko Sipilä von der Universität Helsinki.

„Dass die neue Verbindung gegenüber OH abends und nachts überwiegt, legt nahe, dass sie in Zusammenhang mit Oberflächenemissionen und der anschließenden Ozon­chemie stehen könnte, die sich in der untersten Schicht der Atmosphäre abspielt“, vermutet Dr. Lee Mauldin III vom National Center for Atmospheric Research. „Die Re­aktionen scheinen eng mit der Anwesenheit von Alkenen biogenen Ursprungs ver­knüpft.“ Solche Kohlenwasserstoffverbindungen werden von der Vegetation natürlich gebildet und sind daher über Wäldern in erhöhter Konzentration zu finden.

Die Autoren nennen die neue Verbindung zunächst provisorisch im Paper „X“. Mauldin, Berndt und Kollegen vermuten, dass es sich dabei um ein stabilisiertes Criegee-Inter­mediat handeln könnte. Diese Kohlenstoffverbindung mit zwei Radikalfunktionen wurde bereits in den 1950er Jahren vom deutschen Chemiker Rudolf Criegee theoretisch be­schrieben. Ihre einfachste Form (CH₂OO) wurde aber erst 2012 von US-amerikani­schen und britischen Wissenschaftlern in einem speziellen Laborexperiment hergestellt und nachgewiesen.

„Die von Mauldin, Berndt und Kollegen verwendete Messtechnik wurde bereits in ver­schiedensten Umgebungen eingesetzt. Es ist daher überraschend, dass dieses Hin­tergrundsignal in früheren Studien nicht aufgefallen ist. Die von den Autoren unter­suchten Wälder bilden große Mengen an Alkenen und bieten so ideale Bedingungen für die Bildung von X. Weitere Messungen in anderen Umgebungen sind nötig, um die glo­bale Bedeutung von X auf die Produktion von Schwefelsäure in der Atmosphäre besser abschätzen zu können“, schreibt Dr. Dwayne Heard von der Universität Leeds in sei­nem Kommentar zur Studie in NATURE.

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