12 Punkte-Papier der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen zur Landtagswahl
(15.1.2003) Im Februar 2003 wählen die Bürger in Hessen ihre Landesregierung. Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen nimmt die Wahl zum Anlass, als Vertreterin des Architekten- und Stadtplanerberufsstandes ihre Forderungen gegenüber den Politikern deutlich zu machen: In einem 12 Punkte-Papier fasst sie die wichtigsten Handlungsfelder zusammen, die von den Politikern in ihren Beschlüssen berücksichtigt werden soll(t)en.
Im Anschluss an die Wahl, innerhalb des Zeitraums der Koalitionsverhandlungen, will die Kammer während eines Parlamentarischen Abends ihre Forderungen gegenüber Vertretern der Hessischen Landesregierung nochmals unterstreichen und detailliert darlegen.
"Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen vertritt die berufspolitischen Interessen der rund 11.000 hessischen Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner.
Gegenwärtig befindet sich die gesamte Bauwirtschaft in einer schweren Krise. Hiervon sind die hessischen Architektur- und Stadtplanungsbüros in besonderem Maße betroffen. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahl ist die Landespolitik aufgerufen, die Ausrichtung der politischen Ziele hinsichtlich Architektur und Städtebau in Hessen sowie die Auswirkungen bei der Umsetzung zu bedenken und die Architekten und Stadtplaner in dieser kritischen Situation wirksam zu unterstützen.
Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen rückt 12 vorrangige Handlungsfelder in den Blickpunkt der Landespolitik:
- Kraftvollen Impulsen für die Baukonjunktur Priorität einräumen.
Die Bauwirtschaft ist stets der Motor der Wirtschaftsentwicklung. Wenn dieser
Motor "stottert", hat das negative Auswirkungen auf die Gesamtkonjunktur.
Deshalb sind Impulse für die Bauwirtschaft unabdingbar. Die Entscheidung, den
Landtagsneubau und -umbau nicht durchzuführen, ist genau das falsche Signal.
Öffentliches Bauen ist gerade in Zeiten zurückhaltender Investitionen der
Privatwirtschaft ein wichtiges Instrument zur Konjunkturbelebung und zur
Erhaltung von Arbeitsplätzen auch in den Architekturbüros.
- Die Förderung der Baukultur als festen Bestandteil der Politik
verankern. Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen hat kürzlich eine
Resolution zur Architekturpolitik verabschiedet. Dies geschah im Rahmen der
bundesdeutschen "Initiative Architektur- und Baukultur" und zeitgleich mit der
"Entschließung des Rates der Europäischen Union zur Sicherung der
architektonischen Qualität der städtischen und ländlichen Umwelt".
Kernforderung dieser Resolution ist der Appell an die Hessische
Landesregierung und an die hessischen Gebietskörperschaften, die in dieser
Resolution genannten Zielsetzungen einer "Architekturpolitik in Hessen"
anzuerkennen und im Rahmen einer aktiven und weiterentwickelten Bau- und
Umweltpolitik umzusetzen. Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen
fordert die künftige hessische Landesregierung auf, die Inhalte der Resolution
in ihrem Regierungsprogramm mit zu verankern und zur Basis ihrer Landespolitik
zu machen. Ein eigener Ausschuss des Hessischen Landtags für die Themen
"Städtebau" und "Wohnungswesen" wäre ein geeignetes Instrument, um der
Bedeutung dieser Themen gerecht zu werden und den notwendigen Dialog hierzu zu
verbessern.
- Die Trennung von Planung und Bauausführung bei allen neuen
Formen der Zusammenarbeit gewährleisten. Neue Kooperationen werden heute
überall diskutiert. Public-Private-Partnership stellt dabei nur eine mögliche
Variante dar. Aus Sicht der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen ist in
jedem einzelnen Fall darauf zu achten, dass die Trennung von Planung und
Bauausführung erhalten bleibt. Nur so kann eine sparsame Mittelverwendung bei
gleichzeitiger Sicherung der Qualität und weitest möglicher Verhinderung von
Korruption gewährleistet werden. Trennung von Planung und Bauausführung ist
zugleich Förderung der Freiberuflichkeit und des Mittelstandes.
- Mehr Architektenwettbewerbe ausloben. Die öffentlichen
Auftraggeber haben beim Bauen eine Vorbildfunktion. Sie werden dieser am
besten gerecht, wenn sie für öffentliche Bauten, öffentliche Freianlagen und
städtebauliche Planungen Architektenwettbewerbe nach den gültigen
Wettbewerbsregeln (GRW) ausloben. Deshalb sollte festgelegt werden, dass bei
bedeutenden Maßnahmen des Landes sowie bei Zuwendungsbauten, bei denen das
Land Hessen Steuergelder für bestimmte Zwecke zur Verfügung stellt,
Wettbewerbe ausgelobt werden müssen. Verhandlungsverfahren nach VOF
(Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen) sollten bei
Hochbaumaßnahmen des Landes zugunsten der anonymen, transparenten und fairen
Wettbewerbsverfahren nach GRW zurückstehen. Wenn aber Verhandlungsverfahren
durchgeführt werden, muss das auf der Grundlage objektiver, angemessener und
nachvollziehbarer Vergabekriterien geschehen.
- Die Rahmenbedingungen für Freiberufler auf europäischer Ebene
gestalten. Die Hessische Landesregierung muss sich insbesondere über den
Bundrat auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass das deutsche Prinzip der
Trennung von Planung und Bauausführung nicht durch europäische Regelungen, die
durch den Einfluss von Großunternehmen in anderen Ländern geprägt sind,
unterminiert wird. Angebotsverfahren nach dem beabsichtigten
Herkunftslandprinzip gefährden existenziell Freiberuflichkeit und Mittelstand.
Ebenso darf das hohe Niveau für den Schutz der Verbraucher, das die 1985
verabschiedete Architektenrichtlinie für die gegenseitige Anerkennung der
Diplome zur Erleichterung grenzüberschreitender Tätigkeit und der
Niederlassungsfreiheit im Gebiet der EU festlegt, nicht durch eine neue
Querschnittsrichtlinie verwässert und abgesenkt werden.
- Endlich die HOAI anpassen. Die Honorarordnung für Architekten
und Ingenieure bedarf dringend der Überarbeitung, da sich die Struktur der
Aufgaben und die Kostenbelastung von Architekten und Stadtplanern in den
letzten Jahren erheblich geändert haben. Wir fordern, dass sich die
Landesregierung auf Bundesebene dafür einsetzt, dass es im ersten Schritt
vorab zu der überfälligen Anhebung der Honoraransätze kommt, da die letzte
Anpassung bereits sieben Jahre zurückliegt. Darüber hinaus muss die
strukturelle Überarbeitung zügig vorangetrieben werden. Nur wenn die
Architektenleistung auskömmlich vergütet wird, können die Auftraggeber - damit
auch die öffentlichen Bauherren - sicher sein, dass die abgeforderte Qualität
- auch unter den Aspekten Umwelt- und Ressourcenschonung - beim Bau und bei
der Nutzung erreicht wird.
- Korruption verhindern. Im Zuge der Privatisierung von Aufgaben
der staatlichen Bauverwaltung muss darauf geachtet werden, dass die
Bauverwaltung ausreichende Personalkapazitäten behält, um selbst als Bauherr
fachlich kompetent handeln zu können. Eine zu große "Ausdünnung" kann die
Öffentliche Hand in der Gesamtbetrachtung sehr teuer zu stehen kommen.
Scheinprivatisierung öffentlicher Planungs- und Bauaufgaben in staatlichen
Beteiligungsunternehmen darf es nicht geben. Sie führt zum einen zu unfairen
Wettbewerbsbedingungen am Markt gegenüber den Architekten, da für die
scheinprivatisierten Unternehmen eine garantierte Grundauslastung gesichert
ist. Sie fördert zum anderen Korruption, weil sich das scheinprivatisierte
Unternehmen dem öffentlichen Vergaberecht entzieht. Neben der Trennung von
Planung und Bauausführung ist die strikte Anwendung der Verdingungsordnungen
VOF, VOB und VOL als Mittel der Korruptionsbekämpfung unabdingbar.
- Die Finanzprobleme der Kommunen nicht auf dem Rücken der Freien
Berufe lösen. Eine Reform der Finanzierung der Gemeinden ist dringend
notwendig, damit diese ihre Aufgaben - auch im Bereich des Planens und Bauens
- adäquat erfüllen können. Die in diesem Zusammenhang diskutierte
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage der Gewerbeertragssteuer auf die Freien
Berufe wird allerdings grundsätzlich und insbesondere angesichts der
kritischen ökonomischen Situation der Architekturbüros strikt abgelehnt. Würde
die Einkommenssituation in den Büros durch eine solche Maßnahme noch weiter
verschlechtert, wäre mit Entlassungen zu rechnen; darüber hinaus würde die
Anzahl der Ausbildungsplätze zwangsläufig reduziert werden.
- Die Qualität der Architektenausbildung sichern. Die
Weiterentwicklung der Studiengänge darf aus Sicht der Architekten- und
Stadtplanerkammer nicht dazu führen, dass die Qualität der Ausbildung
abgesenkt wird. Ein 6-semestriges Studium kann nicht zur Berufsbefähigung
führen. Im Interesse der Chancen der Absolventen von Architekturstudiengängen
im globalen Markt und zum Schutz künftiger Bauherrn muss es bei der bisherigen
mindestens 8-semestrigen Ausbildung bleiben. Die künftige Hessische
Landesregierung wird darüber hinaus aufgefordert, durch den Erlass einer
Rechtsverordnung zum Hessischen Architekten- und Stadtplanergesetz die
Grundlage für eine wesentliche Qualitätsverbesserung der vor der
Kammereintragung erforderlichen zweijährigen Berufspraxis zu legen.
- Den Themenbereich Architektur stärker im Schulunterricht
berücksichtigen. Architektur muss im Schulunterricht stärkere Berücksichtigung
finden. Die Kammer hat deshalb zwei Schulbücher herausgegeben. Sie wünscht
sich hierzu eine deutlichere Unterstützung des Hessischen Kultusministeriums
bei der Einführung dieser Schulbücher und die Berücksichtigung des Themas
"Architektur" in den Lehrplänen.
- Nachhaltige Entwicklungen stärken. Anzustreben sind in Hessen
solche Rahmenbedingungen, die das nachhaltige Bauen und die nachhaltige
Entwicklung begünstigen, damit die Lebens- und Gestaltungschancen zukünftiger
Generationen erhalten bleiben. Dabei sind solche Handlungsebenen vor allem
anzusprechen, die in der bisherigen Diskussion zu kurz kamen: die Regionen und
die Quartiere. Die Region bildet den wichtigsten Aktions- und Funktionsraum
für die Stadt; Quartiere sind der "konkrete Erfahrungsraum von Bürgern". Auch
seit langem bekannte Themen wie "Energieeinsparung" und Umgang mit Bau- und
Problemstoffen bedürfen einer nicht nachlassenden Anstrengung aller
Beteiligten.
- Die Entwicklung der Regionen unterstützen. Zunehmend stehen nicht nur einzelne Städte und Gemeinden im europäischen oder gar globalen Konkurrenzkampf, sondern ganze Regionen. Darüber hinaus sind viele Herausforderungen nur nach dem Motto "gemeinsam sind wir stark" zu bewältigen. Deshalb wird empfohlen, vorhandene Initiativen in Richtung Regionalentwicklung auf Landesebene zu stärken und zu fördern. Nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele in der Region Frankfurt/Rhein-Main wird deutlich, welche Entwicklungspotentiale für diese Region beispielsweise gegeben sind. Hier, wie auch in anderen Regionen, bedarf es zentraler Stellen wie z.B. "Regional-Akademien" oder "Regional-Agenturen", die auf Landesebene agieren. Die Bewältigung der Aufgaben darf nicht allein der Privatwirtschaft überlassen werden; eine Einbindung der Wirtschaft und ihrer Verbände wird allerdings für wünschenswert und sinnvoll erachtet.
Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen bietet der künftigen hessischen Landesregierung Rat und Unterstützung bei der Umsetzung aller 12 Themen an."
siehe auch:
ausgewählte weitere Meldungen:
- Baupreise in Hessen gesunken (2.1.2003)
- Mehr Umsatz und mehr Aufträge im hessischen Bauhauptgewerbe (16.12.2002)
- Maurer bald ein exotischer Beruf? Traditionsberuf (auch) in Hessen im Abwärtstrend (4.12.2002)
-
Hessisches
Statistisches Landesamt: Bau sitzt auf dem Trockenen (19.11.2002)
- Bauindustrie begrüßt Gesprächsangebot von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (12.1.2003)
- Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW): Wenig Bewegung in Sachen Konjunktur (27.12.2002)
- Bauhauptgewerbe im Oktober 2002: 8,0% weniger Aufträge als im Vorjahr (20.12.2002)
- Städtebauinstitut: Wohnungsneubau 2003 im Nachkriegstief (19.12.2002)
- ZDB: Bau von frostigem Klima geprägt (15.12.2002)
- ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.: Baukonjunktur bleibt Wachstumsbremse in Europa (7.12.2002)
- Institut der deutschen Wirtschaft Köln zur Baukonjunktur: Das Trauerspiel dauert an (6.12.2002)
- DIW zur Bauwirtschaft: Statt Stabilisierung erneut kräftige Einbrüche 2002, 2003 und Folgejahre (8.11.2002)
siehe zudem:
- Literatur / Bücher zu den Themen "Bauen" und "Architektur" bei Amazon
- "Architektenkammern" • "öffentliche Hand" auf Baulinks