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Glasstec: KI in der Maschinentechnologie der Flachglasindustrie 

(10.4.2025) Die Digitalisierung und Automatisierung der Flachglasindustrie schreitet voran. Künstliche Intelligenz spielt dabei eine Schlüsselrolle, um Prozesse zu optimieren, Energieeinsatz und CO₂-Emissionen zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Dank eines digitalen Zwillings lassen sich z.B. Scherbenwassersysteme virtuell in Betrieb nehmen.
(Bild: Siemens AG/PVAG)
 

Innovationsmanagement und KI im Maschinenbau

Der VDMA beschäftigt sich im Rahmen des Themas „Innovationsmanagement” mit dem Thema Künstliche Intelligenz. Gesine Bergmann, Abteilungsleiterin VDMA Forum Glastechnik berichtet: „Es ist die Anpassungsfähigkeit des Maschinen- und Anlagenbaus, die Innovationen vorantreibt und unsere Industrie wettbewerbsfähig bleiben lässt. Dabei spielt Gemeinschaftsforschung für unsere Mitgliedsfirmen eine maßgebliche Rolle.” 

Moderne KI-Algorithmen basieren häufig auf maschinellem Lernen oder so genanntem „Deep Learning”. Maschinelles Lernen als Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz konzentriert sich auf die Entwicklung von Algorithmen, die aus Daten lernen können, ohne explizit programmiert zu werden. Sie identifizieren Muster und Beziehungen in den Daten und treffen auf dieser Grundlage Vorhersagen oder Entscheidungen. Genau hier liegt „noch viel Potenzial für die Flachglasindustrie”, wie Peter Seidl, Leiter Produktmanagement beim Maschinenhersteller Grenzebach, berichtet. 

Die Technologie-Innovatoren bedienen die Flachglasindustrie mit maßgeschneiderten Automatisierungslösungen für die Produktion und Weiterverarbeitung von industriellem Floatglas. Peter Seidl: „Für viele der Prozesse in den hochautomatisierten Fabriken ist erfahrungsgemäß nichts wichtiger als ein erfahrener ,Operator’, also Maschinenführer, an allen wichtigen Positionen vom Schmelzofen bis zur Überwachung aller Prozesse in den IT-Zentralen. Hier ist die Industrie in modernen Fabriken schon sehr weit und die Effizienz der Glasproduktion und die resultierende Glasqualität mit herkömmlichen Mitteln fast am Ende der Optimierbarkeit. Der Einsatz von Deep Learning KI bietet trotzdem noch viel Potenzial, insbesondere bei der Fehlererkennung – und Bewertung.”

Wer sich die Fortschritte der Flachglasindustrie anschaut, staunt: Vor einigen Jahrzehnten konnten die in der Produktion eingesetzten Kameras nur gute von schlechten Scheiben unterscheiden, heute sind die Systeme so performant, dass eine Vielzahl von Daten permanent für die Fehleranalyse bereitgestellt wird. 

KI-gestützte Fehlererkennung in der Glasproduktion

Peter Seidl: „Durch die Analyse von Bildern und über Sensoren erlangte Informationen können Deep Learning Modelle kleinste Defekte, ganze Fehlerbilder oder Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess schnell und präzise identifizieren, erkennen Muster in den Daten und können Rückschlüsse auf potenzielle Ursachen ziehen. Diese Bewertungen kann die KI dann in Handlungsempfehlungen für die jeweiligen Operator überführen, um die Produktion ‚on the fly’ zu optimieren. KI kann erfahrene Mitarbeiter nicht ersetzen, sie kann sie jedoch mit zunehmend besseren Informationen versorgen und unterstützen.”

Die Übersicht über erkannte Defekttypen und deren Menge am Beispiel eines Inspektionssystems für Flachglas erlaubt Rückschlüsse auf den Anlagenstatus. (Bild: Isra Vision GmbH) 

Auch die Komplexität der gesamten Reise des Glases vom heißen bis zum kalten Ende des Produktionsprozesses ist ein ideales Einsatzfeld für KI: Gemenge, Glasschmelze, Heizung, Kühlung und Zuschnitt. Ein komplexes Zusammenspiel über viele Anlagenbereiche und hunderte Parameter und Zustände, die sich oftmals gegenseitig beeinflussen. Dies ist selbst für erfahrenste Operatoren nur schwer zu durchschauen und beherrschbar. Störungen treten unvermittelt auf oder zeichnen sich schon als Trend ab. Ein früher Hinweis KI-unterstützer Systeme kann sie jedoch aufgrund kleinster Indikatoren voraussagen und gegebenenfalls vorab verhindern. 

Peter Seidl: „Voraussetzung ist allerdings, dass das Wissen um alle Stationen im Prozess digitalisiert und vorverarbeitet wird, die KI muss angelernt werden, um schlussendlich Korrelationen zu erkennen. Dabei lernt sie ständig mit, Dickenänderungen, Klimabedingungen, sämtliche Einflussfaktoren – irgendwann ist die KI in der Lage, alle Faktoren zu erfassen und zu bewerten.”

Auch die ISRA Vision GmbH nutzt bereits KI-Systeme. Das Unternehmen bietet Inspektionslösungen für die Glasindustrie an, die nach eigenen Aussagen 100% der Fehler bei Floatglas und verarbeiteten Produkten erkennen, bei voller Produktionsgeschwindigkeit und mit zuverlässiger Echtzeit-Klassifizierung. ISRA-Systeme überwachen den vollständigen Prozess, um die Glas-Ausbeute ressourcen- und energieschonend zu optimieren.

Ein konkretes Beispiel für den Einsatz von KI ist die Lösung „EPROMI”, wie Florian Sterzing, R&D Team Leader Data Analytics bei ISRA Surface Vision, berichtet: „Diese Lösung macht die in Produktionsdaten verborgenen Potenziale sichtbar und hilft bei der Ableitung von Entscheidungen entlang der Wertschöpfungskette. Dafür sammelt sie Daten aus Inspektionssystemen und anderen zur Verfügung stehenden Quellen, bereitet sie auf und visualisiert sie in intuitiven Dashboards. Das wichtigste und am heißesten diskutierte Entwicklungsgebiet ist derzeit die prädiktive Analytik, in der KI-unterstützte Systeme historische Trends analysieren, Muster entdecken, Engpässe oder Ineffizienzen vorhersehen und so stetige Prozessverbesserungen einleiten können. 

Diese Systeme lernen anfangs durch vorgegebene Daten und anschließend auch aus jeder gewonnenen Erfahrung. Für jede Anwendung, jeden Produktionsbereich der Daten generiert, können spezialisierte Entscheidungs-KIs trainiert werden. So können Wartungszeiten reduziert, Ausfallzeiten vermieden und somit auch die CO₂-Emissionen gesenkt werden: „Das gleiche Produkt, in kürzerer Zeit, mit weniger Ressourcen und Energieeinsatz.” 

Digitalisierung ermöglicht eine Glasproduktion mit Durchblick. (Bild: Siemens AG) 

Lernen am „digitalen Zwilling” der Produktion  

Tobias Wachtmann, Leiter Vertical Glass & Solar Siemens Digital Industries, beschäftigt sich mit der Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Glasproduktion. Angesprochen auf die Frage nach den Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz in diesem Feld, stellt er die Gegenfrage: „Für welche Zielstellung? Dekarbonisierung? Ressourcen schonen? Arbeitsbedingungen verbessern? Mehr Energieeffizienz?”

Viele Lösungen von Siemens, die sich auch in der Floatglasproduktion wiederfinden, bedienen sich bereits künstlicher Intelligenz, die in Systeme und Services eingebettet werden, häufig in Zusammenarbeit mit Partnern wie Grenzebach. Eines der Themen laut Tobias Wachtmann: „Die unterschiedlichen Systeme untereinander in Verbindung zu setzen: Daten aus dem Gemenge, der Schmelze und von der gesamten Reise des Glases vom heißen bis zum kalten Ende der Produktion. Zielstellung hierbei sind weiterhin ein stabiler Produktionsprozess bei höchster Ausbeute sowie Potenziale für weitere Optimierungen zu erkennen und angehen zu können.”

Eine langfristig intelligente Lösung für die Erprobung und Optimierung von KI-Lösungen sieht Tobias Wachtmann darum in der Schaffung digitaler Zwillinge: „Ein exakter digitaler Zwilling der gesamten Produktionsanlagen und -Bedingungen kann es ermöglichen, auf der virtuellen Ebene Lösungen mit KI zu simulieren, durchzurechnen und immer wieder zu optimieren. Die Erkenntnisse und gefundene Lösungsansätze lassen sich anschließend auf die Realität ableiten, um so zum Beispiel den Ausschuss oder den Energieeinsatz stetig zu optimieren. Auf dieser Basis lassen sich sogar Maschinen zuvor virtuell bauen und die KI kann für unterschiedlichste Modelle angelernt werden.”

Ethische Implikationen disruptiver Technologien

Mit jeder disruptiven Technologie gibt es ethische Implikationen: die Eisenbahn, das Automobil, das Internet, mobile Kommunikation – wo neue Technologien entstehen, keimt stets auch die Unsicherheit, ob gewohnte Strukturen auf der Strecke bleiben. Es erscheint darum obligatorisch, dass KI-Systeme fair, transparent und ethisch verantwortungsvoll entwickelt und eingesetzt werden und dabei auch die Auswirkungen auf die Arbeitswelt frühzeitig assimiliert werden, um sie mit Weitsicht und Sorgfalt im Sinne der Menschen umzugestalten. 

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