Ingenieure bauen am gemeinsamen Haus Europa
(22.12.2001) Die Ingenieurkammern schalten sich verstärkt in den Erweiterungsprozess der EU ein. Sie beanspruchen bei den laufenden Verhandlungen Mitsprache- und Anhörungsrechte und wollen die Regierungen der Beitrittskandidaten und die Europäische Kommission bei den erforderlichen Wirtschaftsreformen und in Bau- und Vergabefragen beraten. Beim Monitoring der Verhandlungen zur EU-Erweiterung haben die Kammern bislang eine untergeordnete Rolle gespielt und anderen Interessengruppen weitgehend das Feld überlassen. Mit dem geplanten Dachverband der europäischen Ingenieurkammern soll sich das künftig ändern. Die EU-Kommissare Günter Verheugen (Erweiterung) und Frits Bolkestein (Binnenmarkt) werden die ersten Adressaten supranationaler Initiativen der europäischen Ingenieurkammern und des Ingenieurforums 2002 in Dubrovnik sein.
"Ich sehe die Kandidaten auf einem guten Weg, den Binnenmarkt zu erreichen", sagte der Europaabgeordnete Dipl.-Ing. Markus Ferber bei informellen Beratungen mit Vertretern der Slowenischen und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau eine Woche vor Weihnachten in Augsburg. Bestens für den EU-Beitritt präpariert zeigen sich, so Ferber, die zwei Millionen Slowenen. Mit einem pro Kopf Bruttoinlandsprodukt von 16.100 Euro ist Slowenien das zweitreichste Land unter den Kandidaten (72 Prozent des EU-Durchschnitts). Wie Tschechien hat auch Slowenien bereits 21 Kapitel abgeschlossen. Allerdings, so schränkte der CSU-Politiker ein, bleiben weitere Strukturreformen notwendig. Die Erfüllung der 1994 in Kopenhagen festgelegten Kriterien sei für den Beitritt aller Kandidaten unerlässlich. Ferber, Mitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele Beitrittskandidaten nach wie vor Schwierigkeiten mit dem Aufbau moderner Verwaltungsstrukturen haben. In der Unterstützung des institutionellen Auf- und Ausbaus in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten - im so genannten Twinning - erkennt der Europaparlamentarier deshalb eine gute Chance, vermehrt Kooperationen von Ingenieuren aus den EU- und den Beitrittsstaaten anzuregen. Durch Partnerschaften zwischen den Kammern könne die im PHARE-Programm geförderte Umsetzung des "Acquis Communautaire" (des Gesetzgebungsbestandes der EU) begleitet werden. Seine Unterstützung sicherte der Abgeordnete einem Vorschlag des Präsidenten der Slowenischen Ingenieurkammer, Crtomir Remec, zu, ein bayerisch-slowenisches Twinning-Projekt im Bereich der Aus- und Fortbildung von Ingenieuren anzusiedeln.
Wie Ferber weiter darlegte, sollen im kommenden Jahr - also 2002 - die Verhandlungen mit allen Ländern abgeschlossen werden, die die Beitrittskriterien erfüllen. Den Bürgern dieser Staaten soll die Möglichkeit eröffnet werden, an den Europawahlen im Juni 2004 teilzunehmen. Noch bestehe aber die Gefahr, dass die türkisch-griechischen Auseinandersetzungen um den Beitritt des geteilten Zypern die Erweiterungsrunde platzen lassen könnten. Zypern gilt als Musterschüler, der mit 23 abgearbeiteten Kapiteln an der Spitze der Kandidaten liegt. Allerdings habe der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit bereits damit gedroht, im Falle eines Beitritts den türkisch-zyprischen Norden der Insel zu annektieren. Griechenland hat seinerseits angedeutet, dass es die Aufnahme Zyperns zur Bedingung für die Osterweiterung machen werde.
Probleme lauern auch an der deutschen Ostgrenze. Obwohl Bundeskanzler Schröder nicht müde wird, dem Problemkandidaten Polen unter der neuen Regierung Miller den Rücken zu stärken, liegt das Land, belastet durch schwere innenpolitische Probleme und eine schwelende Regierungskrise, mit erst 19 beendeten Verhandlungskapiteln deutlich hinter Ungarn (22) und Slowenien sowie Tschechien zurück. Strittig in den Verhandlungen mit Polen sind die Agrarfrage und Übergangsfristen. Polen will die sieben Jahre nicht akzeptieren, die seine Bürger nach dem Beitritt noch vom EU-Arbeitsmarkt ausgeschlossen sein sollen. Auf dieser Frist beharren mit Blick auf die hohe Arbeitslosigkeit im eigenen Land Deutschland und Österreich. Im Gegenzug verlangt Warschau von der EU unzumutbar lange Übergangsfristen, beim Grunderwerb durch EU-Ausländer in Polen. "Polen verfügt in Fragen der Erweiterung über keine durchgängige innenpolitische Strategie" kritisierte Ferber die Warschauer Koalitionsregierung.
Die Zustimmung der Bürger zur EU und zur Osterweiterung steht nach Meinung des Abgeordneten auf dem Spiel, sollte Brüssel darauf beharren, mit der Aufnahme einzelner Staaten so lange zu warten, bis auch der letzte Kandidat der ersten Runde alle Beitrittsvoraussetzungen erfüllt hat. Mit Blick auf den polnischen Nachbarn sprach sich Ferber für das so genannte Regatta-Modell aus. Wer aus dem Kreis der Beitrittsstaaten (Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, Estland, Slowenien und Zypern - die ehemalige Luxemburg-Gruppe - sowie die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Lettland, Litauen und Malta - die ehemalige Helsinki-Gruppe) die Voraussetzungen erfüllt, soll beitreten dürfen. Polen bliebe dann allerdings vorerst die Türen Europas versperrt.
Öffentlichkeits- und Überzeugungsarbeit "pro Europa" bleibt auch weiterhin notwendig. Denn lediglich 61% der Deutschen erwarten nach einer im September veröffentlichten Emnid-Umfrage durch das Zusammenwachsen der EU Vorteile. Fänden in den Beitrittsländern Volksentscheide statt, wäre in einigen Staaten ein Scheitern nicht auszuschließen: Die höchste Zustimmung erreichte dann Rumänien mit 72 Prozent. In der Türkei wären 67 Prozent, in Polen, in der Slowakei jeweils 62 Prozent und in Bulgarien 60 Prozent für den Beitritt. Slowenien, Tschechien und Ungarn liegen mit Zustimmungswerten zwischen 58 und 54 Prozent im Mittelfeld. In Estland, Lettland und Litauen sind die Befürworter dagegen deutlich in der Minderzahl.
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