"big bang" durch die EU-Osterweiterung? - Bayerische Bauindustrie fordert Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen durch Übergangsregelung
(21.6.2001) Mit unterschiedlichen Pegelständen in einer Schleuse verglich Präsident Prof. Thomas Bauer im gestrigen Pressegespräch des Bayerischen Bauindustrieverbandes die Lohnsituation im Bauwesen. Ein hoher Pegel im Westen, ein niedriger Stand im Osten und die Gewissheit einer baldigen Öffnung des trennenden Schleusentors würden die Lage der europäischen Bauwirtschaft treffend charakterisieren. Um nicht bei einer abrupten Öffnung hinweggespült zu werden, richte die deutsche Bauindustrie ihre Hoffnungen auf die tendenzielle Angleichung des Lohnniveaus in den Beitrittsländern.
Nur "zeitversetzt" ließen sich die komparativen Kostennachteile der deutschen Bauwirtschaft als Folge der im Vergleich zu anderen Branchen hohen Lohnquote von 40% ausgleichen. Eine Bestandsgarantie forderte Bauer unterdessen nicht. "Ich akzeptiere, dass es (künftig) einen Teil der deutschen Bauwirtschaft nicht mehr gibt", so Bauer. Allerdings könne der vollständige Verlust der deutschen Bauwirtschaft "nicht im Interesse der Politik sein". Eine "synchrone" zehnjährige Übergangsfrist für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit wäre geeignet, die notwendige Marktanpassung ohne soziale Verwerfungen zu erreichen. Als politischen Erfolg verbuche die Bauindustrie, dass die von Österreich und Deutschland vorgetragene Forderung einer befristeten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit erfüllt wurde. So habe der EU-Rat erst jüngst auf Drängen von Wien und Berlin den Weg für eine fünfjährige Übergangsfrist, verbunden mit der Option einer weiteren Verlängerung um zwei Jahre, freigemacht.
Ob diesem Reglementierungsversuch jedoch nachhaltige Wirkung beizumessen ist, vermochte auch der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Dipl.-Ing. Markus Ferber, nicht zu sagen. Er habe Verständnis für die Position der Bauindustrie und halte deren Forderungen keineswegs "für unverschämt". Allein die Bundesregierung, die vergessen habe, das Kapitel Dienstleistungsfreiheit in die Erweiterungsverhandlungen zu integrieren, sei für die derzeit zu Tage tretenden Irritationen und Existenzängste verantwortlich. Mit Ausnahme der Gespräche mit Rumänien und Bulgarien seien bereits alle Verhandlungen zum Abschluss gebracht worden. Ohne deutliche finanzielle Zugeständnisse der Altmitglieder sei es jetzt aber kaum mehr möglich, bereits abgeschlossene Kapitel mit dem Ziel aufzurollen, in diesen Übergangsregelungen zu installieren. Sprengkraft berge unterdessen auch die im wesentlichen auf Drängen der Wiener Regierung erreichte österreichisch- deutsche Sonderregelung. Missverständnissen in deren Interpretation müsse begegnet werden. Grundsätzlich werde künftig allen beitretenden Staaten, beginnend vom ersten Tag ihrer Mitgliedschaft, die volle Dienstleistungsfreiheit gewährt. Als frühesten Zeitpunkt habe der EU-Gipfel in Göteborg dafür das Jahr 2004 in Aussicht gestellt. Deshalb würden die bilateral vereinbarten Beschränkungen allein die Tätigkeit von Dienstleistern aus Beitrittsstaaten in Deutschland und Österreich nicht aber in anderen EU-Ländern betreffen. Zudem gelten diese Reglementierungen nur für wenige Branchen, so etwa das Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Nicht ausgeschlossen seien jedoch "indirekte Umgehungstatbestände". Beispielsweise könnten polnische Dienstleister per Umweg über die Niederlande unbeschränkt in Deutschland tätig werden.
Wenig Verständnis zeigten Bauer und Ferber für die verkehrspolitische Negation der Erweiterung. Bundesregierung und Europäische Union würden ihrer Verantwortung für Bayern, als künftiger Drehscheibe des internationalen Transitverkehrs, nicht nachkommen. In Berlin und Brüssel werde ignoriert, dass sich der Freistaat nicht länger in einer Randlange, sondern im Zentrum der europäischen Verkehrsströme befinde. Weder in TEN-Projekten (Trans European Transport Network) noch in der TINA-Liste (Transport Infrastructure Needs Assesment Center) finde Bayern ausreichend Berücksichtigung. Bauer forderte deshalb analog zum deutschen Modell "Deutsche Einheit" ein Verkehrsprojekt "Europäische Erweiterung". Nicht länger in Nord-Süd, sondern vor allem in Ost-West-Richtung müsse der Ausbau moderner Infrastruktur vorangebracht werden. Mit Kritik belegte Ferber den EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen, dieser habe erst vor sechs Monaten in Oberfranken einen "gerechten Ausgleich für die Grenzregion" in Aussicht gestellt. Tatsächlich können die Nahtstellen zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern auf westlicher Seite allein mit Ziel 2-Fördermitteln rechnen. Mehr als 100 bis 150 Mio. EURO seien für die Verkehrsanbindung vom Nordkap bis zum Mittelmeer nicht vorgesehen. Ein im Vergleich zu den 111.252 Mio. EURO teuren TINA-Projekten geradezu lächerlicher Betrag. "Was hier von der Kommission vorgeschlagen wird, wird beschämend sein" kritisierte Ferber.
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